Beispielsammlung österreichischer Rechtsprechung

Rezension des Buchs von Christian Neuwirth: Durch den Dschungel der Gesetze. Der Reiseführer zur österreichischen Verfassung. Molden Verlag. Wien/Graz/Klagenfurt: 2009, € 19,95. Diese Rezension war eine Auftragsarbeit für die Politische Akademie.

Haben Sie sich ein Haus gekauft? Hatten Sie bei der Grundbucheintragung Schwierigkeiten? Fühlten Sie sich ungerecht behandelt und haben geklagt? Hat schließlich ein Richter Ihren Fall entschieden? Zugegeben, dieses Szenario ist fiktiv. Es zeigt aber wie wichtig die Verfassung und ihre Grundrechte für jeden Einzelnen sind. In unserem Beispiel wären das Recht auf Erwerbsfreiheit, Recht auf Meinungsäußerung, Gleichheit vor dem Gesetz und das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und das Recht auf ein faires Verfahren involviert.

Reise durch die Verfassung

Solche elementaren Rechte regelt die Verfassung. Diese Rechte sind eine große Errungenschaft, helfen können sie aber nur demjenigen, der sie auch kennt. Anhand von Beispielen versucht Christian Neuwirth dieses Wissen zu vermitteln. Als Sprecher des Verfassungsgerichtshofes hat er dazu auch den nötigen Einblick. Das Buch ist als Reiseführer konzipiert. Die vorgestellten Fälle werden mehr oder weniger kreativ mit einzelnen Stationen einer Touristenreise verglichen. Das Ziel ist klar: Neuwirth möchte den Leser mitnehmen und ihm die wichtigsten Schauplätze der Verfassung zeigen. Er verspricht im Vorwort: „Am Ende werden Sie sich zufrieden zurücklehnen und wissen: Es war gut, diese Reise unternommen zu haben.“ Tatsächlich ist das Buch einfach geschrieben, mit Paragraphen hält es sich nicht auf.

Die grundlegenden Fakten werden noch vor Beginn der „Reise“ präsentiert: Wer noch nicht wusste, dass die Bundeshauptstadt von Österreich Wien ist, wird hier fündig. Auch unsere staatlichen Grundprinzipien werden vorgestellt: Demokratie, Republik, Bundesstaat, Rechtsstaat und Gewaltentrennung.

Dann geht es auch schon los mit den Reiseberichten: Zuerst ein Fall zum traditionellen Vogelfang im Salzkammergut. Dort werden Wildvögel gefangen und bei Vogelschauen gezeigt. 2005 trat ein Bundesgesetz in Kraft, dass das Ausstellen von Wildvögeln verbot. Die Vogelfänger legten Beschwerde dagegen ein und triumphierten schließlich. Denn das Land Oberösterreich hatte ausdrücklich die Erlaubnis für den Vogelfang gegeben. Laut österreichischer Verfassung gibt es eine Rücksichtnahmepflicht. Das heißt, dass Bund und Bundesländer bei den Regeln, die sie nebeneinander aufstellen, Rücksicht nehmen müssen. Das Gesetz wurde aufgehoben. Der Fall ist ein Beispiel für das bundesstaatliche Prinzip.

Gleichheit vor dem Gesetze

Das Grundrecht der Gleichheit vor dem Gesetze bekommt im Buch viel Platz eingeräumt. Gleich mehrere Beispielfälle und eine Erläuterung hat Neuwirth ihm gewidmet. Zu Recht, wenn man sich folgenden Fall veranschaulicht: Einen Tag vor dem Einmarsch Hitlers im Jahre 1938 flüchtete ein jüdisches Mädchen aus Österreich. Wem damals die Verfolgung drohte und die Flucht gelang – und aus diesem Grund hierzulande nicht arbeiten und Beträge zahlen konnte – der kann heute eine „begünstigte Anrechnung von Versicherungszeiten“ erhalten. Das Mädchen, dass nun bereits eine ältere Dame ist, stellte darum den Antrag an die Pensionsversicherung. Dieser wurde aber abgelehnt, mit der Begründung, dass eine Verfolgung von jüdischen Mitbürgern erst ab dem 13. März 1938 begann, sie aber bereits am 12. März 1938 das Land verlassen hatte. Eine wirklich ungerechte Behandlung, die die damaligen Umstände total ignorierte. Die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz schützt aber vor solcher Willkür. Darum hob der Verfassungsgerichtshof schließlich den Bescheid auf.

Datenschutz

Auch der Datenschutz scheint dem Journalisten Neuwirth ein besonderes Anliegen zu sein. Einleitend streicht er die neuen Gefahren heraus, die durch die Digitalisierung und das Internet entstehen. Überall werden persönliche Daten gespeichert, aber was passiert mit den Daten? Hier ist die Verfassung wie eine Schutzmauer um den Einzelnen. Im Detail hört sich das so an: „Jedermann hat, insbesondere auch im Hinblick auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens, Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht.“

Weiter hinten im Buch wird dazu auch ein Beispiel gebracht: Ein Deutscher reiste mit seinem Wohnmobil durch Österreich. Dabei war er zu schnell unterwegs und wurde von einer sogenannten Section Control-Anlage erfasst. Bei der Section Control werden am Beginn eines Straßenabschnittes alle Fahrzeuge mit Kennzeichen fotografiert, am Ende dieses Straßenabschnittes wiederholt sich der Vorgang. Damit kann man die Durchschnittsgeschwindigkeit errechnen und für zu schnelles Fahren erhält man eine Strafverfügung. Der Wohnwagenfahrer nahm diese Strafverfügung nicht hin und berief sich auf den Datenschutz. Die Verfassungsrichter gaben ihm schließlich Recht. Es ist nämlich tatsächlich problematisch, wenn alle Fahrzeuge fotografiert werden, unabhängig davon ob sie zu schnell unterwegs sind oder nicht. Die Section Control ist nicht grundsätzlich rechtswidrig, allerdings verlangten die Verfassungsrichter strengere Auflagen für die Errichtung dieser Anlagen. Schließlich soll das Recht auf Datenschutz gewahrt bleiben.

Idee gut, aber mehr Mut bei Umsetzung

Diese und viele andere spannende Beispiele bringt Christian Neuwirth in seinem Buch. Er schreibt mit lesbarem Enthusiasmus. Seine grundsätzlich positive Einstellung und Sprache tut gut. Leider werden aber oft die Dinge nicht beim Namen genannt. Was spricht dagegen, dass man im Fall des Wildvogelfangs nicht nur von der zuständigen Ministerin spricht, sondern von Ministerin Maria Rauch-Kallat? Neuwirth kritisiert die falsche EU-Medienberichterstattung, nennt die Kronen Zeitung aber nicht. Er kritisiert die FPÖ, nennt sie aber auch nicht beim Namen so wie er auch nicht von Ministerin Fekter schreibt, sondern von einem „Mitglied der Bundesregierung.“ Ein bisschen mehr Mut hätte es da schon sein dürfen.

Leider fehlt auch ein Verweis zu den Originaldokumenten . Zwar gibt es im Anhang ein Kapitel „Originalschauplätze“, allerdings sind hier nur relevante Gesetze aufgelistet. Neuwirth hätte zu jedem Beispiel nur die Geschäftszahl hinzufügen müssen. Dann hätte man im Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes die behandelten Fälle im Original nachlesen können.

„Durch den Dschungel der Gesetze“ ist sicher keine juristische Fachliteratur und wird wahrscheinlich auch keinen Platz in der ersten Reihe im heimischen Bücherregal ergattern. Das Buch ist das, was der Untertitel verspricht: ein Reiseführer. Einen Reiseführer aber verwendet, wer ortsunkundig ist. Wer Österreich von seiner rechtlichen Seite kennen lernen möchte, dem bietet das Buch einen ersten Einstieg. Positiv ist, dass der Leser ein Idee davon bekommt, welche große Bedeutung Grundrechte haben.