Der Fall Kampusch: „Kampusch/Discothek II

„In der Gratiszeitung „Heute“ vom 16.7.2007 erschien auf der Titelseite ein Lichtbild von Natascha Kampusch, welches sie im Arm eines Mannes zeigt. Das Foto war mit dem Bildtext:

„Ihr neues Glück: Natascha Kampusch, das Mädchen aus dem Keller, tanzt, lacht und schmiegt sich an den feschen Freunde unterschrieben. Die Schlagzeile dieser Ausgabe lautete: „Natascha, so süß ist ihre erste Liebe!“, der Subtitel „Paparazzi knipsen Kampusch und supernetten Freund bei Clubbing“ sowie „Die Story, wie sie ihren ‚Prinz Charming‘ umarmt und herzt – Seite 16, 17“.

Im Blattinneren wurde auf den Seiten 16 und 17 von der „schönen ersten Liebe“ von Natascha Kampusch berichtet. Natascha Kampusch habe „im Paillettenkleid, mit perfektem Make-Up, mit Kontaktlinsen statt 08/15-Brille, mit blonder Claudia Schiffer-Mähne statt violettem Kopftücherl und einem fetzig trendigen Collier in der Wiener Babenberger-Passage ein Clubbing“ besucht.

Die Kleidung des männlichen Begleiters von Natascha Kampusch wurde beschrieben und dem Leser suggeriert, dass Natascha Kampusch in diesen verliebt sei. Der Artikel war mit drei Lichtbildern von Natascha Kampusch illustriert, deren Unterbildtexte wie folgt lauteten:

– „Power of love: Natascha tanzt zuerst eng mit ihrem Clubbing-Prinzen, dann shaken sie zu Turbo-Hits“,

– „Herzigst verliebt: Natascha mit ihrem Freund in der Wiener Babenberger-Passage. Bewusst wählten wir Bilder aus, die seine Identität keinesfalls preisgeben.“

In der Ausgabe vom 17.7.2007 erschien ein Artikel mit der Überschrift „Alle freuen sich mit Natascha“, der sich neuerlich mit der behaupteten ersten Liebe von Natascha Kampusch beschäftigte. Dieser Artikel war mit einem Foto von Natascha Kampusch illustriert, dessen Bildunterschrift „Fesch und glücklich: Natascha Kampusch mit ihrem Freund“ lautete.

In der Ausgabe vom 18.7.2007 erschien neuerlich ein Artikel, diesmal mit der Überschrift „Nataschas Papa sagt: ‚Freue mich mit ihr!‘. Auch dieser Artikel war mit einem Foto von Natascha Kampusch illustriert, dessen Bildunterschrift „Schön, dass sie nun endlich glückliche Stunden hat: Natascha beim Clubbing“ lautete. Des Weiteren wurde erwähnt, dass die deutsche Tageszeitung „Bild“ die von „Heute“ veröffentlichten Fotos übernommen und über das Treffen von Natascha Kampusch mit einem Mann berichtet hat. Dieser Bericht wurde mit einem Faksimile-Abdruck der Zeitung „Bild“ illustriert.

Das Erstgericht (LG für Strafsachen Wien) sah in allen drei Veröffentlichungen eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches von Natascha Kampusch und sprach dieser insgesamt € 13.000,- zu. Das Oberlandesgericht Wien gab der Berufung des Medieninhabers der Gratiszeitung „Heute“ Folge und wies die Anträge von Natascha Kampusch ab.

Das OLG Wien begründete seine Auffassung (ua) wie folgt:

„Gerade Personen, die sich – wenn auch basierend auf von ihnen nicht gewollten oder gewünschten Ereignissen – so letztlich doch auch freiwillig in das Schlaglicht der Medien begeben, so wie die Antragstellerin zB durch äußerst ausführliche Fernsehinterviews oder auch indem sie sich beispielsweise auf einer Kurzurlaubsreise von einem Fernsehteam begleiten ließ, müssen damit rechnen, dass wenn sie sich in einem zeitlich nicht allzu großen Abstand zu ihrer ursprünglichen Medienpräsenz im öffentlichen Raum bewegen und dort so verhalten, dass vermutet werden kann, dass daran Medieninteresse besteht, auch darüber berichtet wird. Mag dies von diesen Personen auch als „ungerecht“ empfunden werden, zumal andere in der nunmehrigen Lebensstellung vergleichbare Personen, die niemals in das Medieninteresse gerückt waren, gleichartiges von den Medien völlig unbehelligt unternehmen können, so haben doch die Personen, die sich (früher) freiwillig in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gestellt haben, auch davon profitiert, sei es finanziell, sei es durch Befriedigung von Eitelkeiten oder aber auch nur dadurch dass sie „ihrer Sache“ auf andere Weise gedient haben. Dürften Medien über jedwedes Handeln von Personen öffentlichen Interesses in öffentlichem Raum nur dann berichten, wenn diese es genehmigen, stellte dies einen zu großen Eingriff in die Pressefreiheit und damit die Meinungsfreiheit dar, sodass ein Überdenken des Legalbegriffs „höchstpersönlicher Lebensbereich“ angebracht war. Anderes gilt, wenn die Handlungen nicht „freiwillig“ im öffentlichen Raum stattfinden (zB Bildbericht über Verkehrsunfall und damit zusammenhängend über den Gesundheitszustand) oder wenn der Bericht nach seiner Art bloßstellend wirkt.

Tatsächlich wird die Zulässigkeit über Berichte die den persönlichen Bereich aufgrund von Handlungen im öffentlichen Raum betreffen, sehr kasuistisch von Fall zu Fall zu beurteilen sein. Die gegenständlich vorliegenden Artikel erfüllen jedenfalls den Tatbestand des § 7 Abs 1 MedienG nicht.“

Diese Judikaturwende ist in der Literatur teilweise auf Zustimmung, teilweise aber auch auf heftige Kritik gestoßen. (Korn, 2008: S. 119ff)

 

2.2   Der Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereichs

Unter 2.1. wird dargestellt, dass das Gericht der 1. Instanz zu Gunsten von Natascha Kampusch entschieden hat, aufgrund der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches. Aus diesem Grund möchten wir hier auch die gesetzlichen Bestimmungen und die Bedeutung dieses Begriffes herausarbeiten.

Wie bereits erwähnt hat die Entscheidung der nächsten Instanz, dem OLG Wien, welche die Klage – Gegensatz zum LG Wien – abgewiesen hat. Dies hat auch für viel Kritik gesorgt. Normiert doch der § 7 MedG, dass der Betroffene Anspruch auf Entschädigung hat, wenn sein „(…) höchstpersönlicher Lebensbereich in einer Weise erörtert oder dargestellt wird, die geeignet ist, ihn in der Öffentlichkeit bloßzustellen.“ (vgl. § 7 Abs 1 MedG)

Unter dem Begriff „höchstpersönlicher Lebensbereich“ verstand der Justizausschuss (JA zur Regierungsvorlage 1979) vor allem das Leben mit der Familie, die Gesundheitssphäre und das Sexualleben. Es gehören aber auch die abgeschlossenen – und gehüteten – Lebensphasen eines Menschen dazu. Wichtig ist dabei noch, dass es nicht wie bei der üblen Nachrede um Ehrenbeleidigung geht, sondern um Preisgabe intimster Angelegenheiten. Demnach wird sogar darauf hingewiesen, dass einem Opfer von kriminellen Handlungen bloßgestellt werden kann, wenn die Veröffentlichung Mitleid auslösen kann, da dies auch in Spott und/oder Verachtung umschlagen kann. (vgl. Zeiler, 1998: S. 58f)

Das Problem liegt im Ausschlussgrund des § 7 Abs 2 MedG, der besagt, dass ein Anspruch nach Abs. 1 dann nicht besteht, wenn „die Veröffentlichung wahr ist und in unmittelbarem Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben steht.“

2.3   Bildnisschutz und Personen des öffentlichen Lebens

Da in der Gratiszeitung „Heute“ auch Fotos von Natascha Kampusch veröffentlicht worden sind, sind auch die rechtlichen Bedingungen von Bildern relevant. Nach § 78 UrhG gibt es keinen „absoluten Bildnisschutz“. Dieser greift erst, wenn berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden. Wobei auch der Bekanntheitsgrad der Person in Betracht gezogen wird. Trotzdem ist die Veröffentlichung an sich unzulässig, wenn das Bild die Privat- und Intimsphäre einer Person betrifft, wenn es entstellend wirkt, oder wenn es den Abgebildeten durch den Begleittext der Neugierde und Sensationslust der Öffentlichkeit aussetzt (vgl. Korn, 2008: S. 94-102). Warum dies bei Natascha Kampusch nicht der Fall sein soll, ist Anlass für Kritik.

Dieser Text erschien im Rahmen einer Übung in Kommunikationsforschung im Sommersemester 2009 an der Universität Wien in Publizistik- und Kommunikationswissenschaft.